Behinderung oder wie man behindert wird
#1

Hallo und guten Tag,

zunächst stelle ich mich einmal kurz vor. Inzwischen bin ich 61 Jahre alt. Bis zum 1.2.2011 arbeitete ich als Lehrer. Ich war Beamter nach A12 BBO.
Von Geburt behindert (Spastiker) versah ich meinen Dienst gleichwohl und ich kann sagen, auch sehr regelmäßig. Nur 1970 und 1982 gab es zwei größe Auszeiten.
Im Jahre 2007 allerdings stürzte ich in meiner Schule und zog mir einen Oberschenkel-Halsbruch zu. Mein Dienstherr erkannte den Unfall als Dienstunfall an und übernahm auch die Kosten für Krankenhaus und Reha.
Während ich vor meinem Unfall mich ohne Gehhilfe auch auf weiten Strecken bewegen konnte, benötigte ich seit diesem Zeitpunkt eine Geh-Hilfe, selbst im haushaltnahen Bereich.
In meiner Schule bestand keine Barriere-Freiheit und auch nach meinem Unfall musste ich deshalb noch eine ganze Zeit lang von Gebäudetrakt zu Gebäudetrakt, manchmal über drei Etagen, marschieren. Das war mit erheblichen Mühen verbunden.
Es traten dann bei mir neurologische und kardiologische Probleme auf. Ich brach in der Schule zusammen, litt unter schweren Schwindelanfällen. Während eines Klinikaufenthaltes von 10 Tagen stellte sich heraus, dass meine gesundheitlichen Probleme die Spätfolgen eines in meiner Kindheit erlitten Unfalls seien. Ich war im Alter von sechs Jahren gestürzt und erlitt in Folge dessen Hirnblutungen und Hirnkrämpfe auf. Erst nach zweijähriger Pause konnte ich meinen Schulbesuch 1958 wieder aufnehmen.
Außerdem hatte ich bei meiner Einlieferung in die Klink eine extrem überhöhten Blutdruck.
Nach vierzehn Tagen kehrte ich erneut in meinen Dienst zurück, musste ihn aber nach nur wenigen Stunden wieder abbrechen.
Daraufhin beantragte ich die amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung meiner Dienstfähigkeit, was sich im Nachhinein als eine der größten Dummheiten meines Lebens herausstellte.
Die gutachtende Ärztin nämlich machte meine kardiologischen und neurologischen Probleme als Ursache für meine attestierte Dienstunfähigkeit verantwortlich.
Daraufhin wurde ich zum 1.2.2011 in den Ruhestand versetzt, mit der Folge, dass unser Dienstherr meine Ruhestandsbezüge um 10.8% reduzierte, da ich zum Eintritt in den Ruhstand das 62. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Drei Monate fehlten mir.
Nur verbittert und mit Zynismus kann ich heute sagen, dass ich im Grunde dafür bestraft wurde, dass ich mich nach meinem Unfall 2007 überhaupt nochmal bemühte, wieder den Dienst aufzunehmen. Denn zu diesem Zeitpunkt wäre der Zusammenhang zwischen meinem Unfall und meiner Dienstunfähigkeit kaum leugbar gewesen.
Heute bin ich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch erheblich beeinträchtigt. So verbrachte ich letzen Sommer drei Monate in einer pschiatrischen Klinik. Im Zusammenhang damit wurde mir ein gesetzlicher Betreuer beigeordnet.
Er kümmert sich sehr, stößt aber dabei auch ständig auf die Unzulänglichkeiten im Umgang beispielsweise mit dem Landesamt für Besoldung in Düsseldorf. Wie ich bereits vorher, ist es ihm bis heute nicht gelungen, meinen zuständigen Sachbearbeiter ans Telefon zu bekommen. Briefliche Eingaben werden nicht beantwortet.
Das gilt auch für Anwaltsschreiben.
Für mich bestätigt das meine Erfahrungen als Behinderter, die ich so summiere: Ich war nicht nur behindert, sondern ich wurde vor allem behindert.
Da ich geschieden bin und der Versorgungsausgleich wirksam ist, lebe ich im Moment von gerade mal 1000 €, zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel. Und das nach 33 Dienstjahren.
Für mich führt das zur bitteren Erkenntnis: Wer für sich selbst sorgt, ist selber Schuld. Hätte ich ein Leben in der sozialen Hängematte geführt, ginge es mir heute kaum schlechter.
Abschließend kann ich es mir nicht verkneifen auch noch ein paar Worte zu unseren sogenannten Vertretern, sprich Personalräten zu sagen. Sie sind entweder nicht zu erreichen oder gerade mal wieder unterwegs zu Sitzungen und Tagungen.
Die sorgen als erstes für sich selbst, so mein Eindruck.

Ich entschuldige mich für die Länge meines Postings und bedanke mich fürs Mitlesen.

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#2

Hallo,

es ist interessant, als aktiver Beamter Deine Erfahrungen zu lesen.

Den Antrag auf amtsärztliche Untersuchung zur Feststellung der Dienstfähigkeit muss nan sich offenbar sehr gut überlegen. Ebenso den Umgang mit einem Dienstunfall.

Was mich wundert ist, dass Dir ein gesetzlicher Betreuer beigeordnet wurde. Hat Dich die Sache mit der Rente so fertig gemacht ?

Bzgl. der Personalräte habe ich auch teils negative Erfahrungen gemacht, meinen jetzigen Beamtenvertreter spreche ich bei Problemen gar nicht mehr an. In meiner Verwaltung haben einige Personalratsvorsitzende während oder unmittelbar nach ihrer Dienstzeit plötzlich Karriere gemacht, das hatte Geschmäckle.

Der Vergleich mit der sozialen Hängematte passt allerdings nicht, schließlich hast Du während Deiner Dienstzeit recht gut verdient. Und jetzt hast Du trotz Unterhaltszahlungen noch 1.000 € netto.

Ich wünsche Dir alles Gute !

Bernd (48 J., Kommunalverwaltung)
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#3

Hallo Bernd,

Du hast Recht: Heute würde ich einen solchen Antrag nicht noch einmal stellen, sondern schlichtweg zu Hause bleiben, wenn es mir nicht gut ginge. Ich war da sehr naiv und habe darauf vertraut, dass man mich vor allem im Hinblick auf den Dienstunfall anders behandelt.
Der Unfall hat mich erst richtig zum Krüppel gemacht. Vorher konnte ich mich auch auf längeren Strecken - zwar hinkend - aber bewegen. Heute brauche ich selbst in meiner Wohnung eine "Krücke".

Barrierefreiheit war für mich in der Schule bis zum Schluss nicht gegeben. Dabei hatte ich einen Anspruch darauf. Aber es ist wichtiger, neue Büros für neugeschaffene Posten zu bauen. Schließlich sind die diversen Interessengruppen daran interessiert, ihre Leute unterzubringen.

Die Fürsorgepflicht meines Dienstherrn und meiner Vorgesetzten stand vorwiegend auf dem Papier, und das ist bekanntlich geduldig.

Es ist lächerlich, wenn es nicht so bitter wäre.

Hans
Und ich ergänze dann noch. Die Bundesregierung hat einen Behinderten-Beauftragten, den Herrn Hüppe. Er war vorher MdB und wohnt, der Zufall will es so, in meiner kleinen Stadt. Ohne, dass er mich persönlich kennt, begegne ich ihm hin und wieder an der Tankstelle nebenan. Ich hatte ihn angeschrieben und um Unterstützung gebeten.
Die Antwort war niederschmetternd. Man teilte mir mit, meine Mail sei eingegangen. Im Übrigen aber verkehre man mit den Hilfesuchenden nur via Post.
Vom Behinderten-Beauftragten der Bundesregierung habe ich danach nichts mehr gehört und gelesen, gar nichts.

Sie sorgen erstmal für sich.

Hans
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